Chemie Leipzig vs BVB Amas zurück zur Spielauswahl

07.03.2004, FC Sachsen Leipzig - Borussia Dortmund (A.) und "Ich bin ein Stadion, weiht mich jetzt ein!"

„Nö- ohne mich.“, höre ich meine Antwort auf die Aufforderung drei Euro für einen Parkplatz am neuen, alten Zenti in Leipzig zu bezahlen.
„Dann hau ab hier!“, entgegnet die dicke Frau mit der Gürteltasche voll Kleingeld.
Nichts einfacher als das- hundert Menschen strömen über die Zebrastreifen und auf allen Seiten ums Auto und drücken frohgelaunt Sprüche ins Innere der Karre.  Der Vorgeschmack aufs Chaos war bitter. Zwangseinfahrten für Parkplatzsuchende und Abzocke wechselten trotz knapp 20000 vorverkaufter Karten mit dem Durcheinander rings um das Stadion. Leute hetzten wegen langer Schlangen auf der Jagd nach Karten umher und Gerüchte machten die Runde, dass alles ausverkauft wäre.
Irgendwann war die Hälfte des Geländes umrundet und plötzlich lief mir eine aufgelöste Madam mit Karton über den Weg und zu den Polizisten. Das solariumbraune Dekollete war weit geöffnet und die Aufregung wie auf dem roten Teppich zur Echo- Verleihung. Nur war der Teppich blau und bestand aus 300 Lokis, die sich vor einem Häuschen tummelten und ohne Karten waren. Der Rest der Burschen (etwa 600 Leute) streikte unterdessen im Stadion, weil der zugewiesene Block zum Teil hinter der Videowall lag.
„Wenn ich mit dem Chemie- Schlüsselanhänger hier durchgehe, lynchen die mich.“
„Machen sie doch einfach ihre Jacke zu.“, antwortete der Polizeivati.
Manchmal kann das drumherum so einfach sein. Unter Staatsmachtschutz durfte die Madam zum Kartenhäuschen und ihre heiß erwartete Fracht abliefern. Der Rest der 300 Grobiane plus Autor bekam dann unter körperlichem Einsatz in den nächsten vierzig Minuten eine Karte.
Karte? Gelbes Blankoscheinchen. Bedruckte Karten waren aus.
So landete ich im Lok- Block zur Demo „Erhaltung des Fußballs in Leipzig“- nach einer sorgfältigen Leibesvisitation und Einsichtnahme in Heftcheninhalte, Taschen, Mütze, Kippenschachtel, Fotomaschine.....
500 Polizisten mussten vertan werden, dazu kam eine riesige Armee der Löwen- Security, anscheinend größter Arbeitgeber der Stadt. Aus den aberwitzig lauten Lautsprechern dröhnte ein: „Steht auf, wenn ihr Leutzscher seid!“, woraufhin sich knapp 900 Mann vor mir eiligst setzten. Die, im Nachbarblock befindlichen, ca. 70 Fans aus dem Ruhrpott waren begeistert und hatten große Augen.
So eine Menge Kroppzeug auf einen Haufen hatten sie sicher lange nicht gesehen.
Lok- T- Shirt- Dealer durften sich betätigen. Aufdruck: Unter diesem Zeichen siegen wir!- mit Völkerschlachtdenkmal und den Jahreszahlen 1903-2003. Einmal die entschärfte Variante in gelb/blau und einmal in drei Farben.
Schön das mein Zeugs nach verfassungswidrigen (?) Inhalten durchsucht wurde und nach dem Kommerzverkauf gefragt wurde.
Die Gerüchte vor dem Spiel in den Leipziger Zeitungen waren nett gestreut, so wurde transportiert, dass feindliche Rufe gegen den neubeheimateten Verein mit einem Verweis geahndet werden sollte, woraufhin Lokis sich in Foren breit machten und ihr Recht auf ein „Chemie- Schweine raus!“ einklagten, auch unter Verwendung von CS- Gas seitens der Polizei.
Um es vorweg zu nehmen: der Ruf war der Hit des Tages und schlug die Stimmung im Rest des Stadions um Längen (neben diversen Ufftas und L-O-K’s). Mittendrin vier afrikanische Trommler, Mensch staunt immer wieder.
Die Chemie- Seite brachte einen bemerkenswerten Schlachtruf zustande. War etwas dünn, aber die Akustik des Grounds ist auch nicht besonders. Eigentlich unverständlich, aber da es auch an allen Ecken und Enden zieht und der Wind durchpfeift- vielleicht so erklärlich.
Auf dem Rasen überzeugte der Gast mit kluger Raumaufteilung und dank schneller und technisch versierter Spieler. Chemie versuchte es über die Kraftschiene, aber das sollte zu wenig sein, denn Bundesligakicker Gambino schenkte dem Gastgeber einen schönen Heber ein (alles andere als ein Kabinettstückchen wäre fehl am Platze gewesen). Bedauerlicherweise konnten die (Ex-)Leutzscher keinen echten Druck aufbauen und so hatten die Gästefans und die Demonstrationsfans (wann gab es eigentlich bei einem Pflichtpunktspiel mal drei Fanblöcke) jede Menge Spaß und die Sicherheitsexperten hinter 50 Monitoren („in einem der sichersten Stadien Europas") können nun die Bilder auswerten und drei Knallerwerfer, einen Bengalozünder und einen Mininebelanhänger aufspüren.

Fazit: Das Stadion ist nicht schlecht, aber auch kein Knaller. Als alter Holzbanksitzer im echten Zenti bin ich etwas vorbelastet und finde z.B. die Restruinen völlig deplaziert (oder das Stadion im Stadion), weil es den Eindruck erweckt, als hätte eine riesiger Kran diese Muschel in den Bodden gesetzt.
Zu den Begleiterscheinungen, Organisation usw. gibt es nicht viel zu sagen. Mantel des Schweigens drüber. Auf alle Fälle blieb es rings ums Stadion relativ ruhig und das trotz eines Probstheidaer Pöbels
(mit Selbstironie: "Wenn wir wollen kaufen wir euch auf!" und mit schwachen Kopien: "Chemiefans kniet nieder, wir seh'n uns immer wieder!"),
der es in sich hatte.

Bilder zum Spiel















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